Für den Bruchteil einer Sekunde fällt Licht durch das Objektiv der Kamera. Mit einem metallischen Klicken wird die Filmspule weitergedreht und durch den Auslöser ein weiterer Augenblick, ein
Objekt, eine Stimmung auf das lichtempfindliche Aufnahmemedium gebannt. Doch erst in der Dunkelkammer kann das Bild vergrößert und auf dem Fotopapier sichtbar gemacht werden. Die Atmosphäre im roten
Licht des Fotolabors, wenn plötzlich Umrisse auf dem Papier im Entwicklerbad auftauchen und die Aufnahme Formen annimmt, hat schon etwas Magisches an sich.
Kein Wunder, dass viele Studierende am Campus Koblenz von der handwerklichen Herausforderung analoger Fotografie fasziniert sind. Dr. Martin Lilkendey lehrt am Institut für Kunstwissenschaft und
bietet diesen Studierenden die Möglichkeit, sich von Polaroid über die Camera obscura bis zum Nassplatten-Verfahren auszuprobieren. „In der analogen Fotografie wird man gezwungen, Fehler zu machen.
Die experimentelle Herangehensweise hilft den Studierenden, einen ganz eigenen Stil und künstlerische Ausdrucksfähigkeit zu entwickeln“, verrät er.
„Keiner von uns steht morgens gephotoshopt auf.“
Das Verfahren ist auch mit wenigen Vorkenntnissen technisch nachvollziehbar und doch komplex in der Umsetzung. Analoge Fotografie ist irgendwie greifbar. Sich auszuprobieren, mit Unschärfe zu
spielen, jedes Bild wertzuschätzen, die Studierenden kommen regelrecht ins Schwärmen, wenn sie von ihren Erfahrungen berichten. Kulturwissenschaftsstudentin Katharina Köhler berichtet etwa von ersten
Berührungspunkten mit analoger Fotografie, als sie mit einer Freundin durch Brasilien reiste: „Durch die Möglichkeit der Digitalfotografie sind wir es gewohnt, mit einer Flut von Bildern aus dem
Urlaub zurückzukommen, die wir uns vielleicht nie wieder ansehen. Den Auslöser der analogen Kamera drücke ich viel gezielter und nehme den Moment ganz bewusst wahr.“ Charlotte Fischer und Rouven
Welschbach ergänzen: „Zum einen sind die Fotos für uns wertiger, wir haben Zeit und Geld investiert, zum anderen sind sie charismatischer und authentischer, denn keiner von uns steht morgens
gephotoshopt auf.“
Die Koblenzer Altstadt in morbider Stimmung
Diese harte, nicht gephotoshopte Wirklichkeit schlägt dem Betrachter auch beim Anblick der ersten Aufnahmen des neuen Fotoprojektes entgegen. Gaststätten, in denen üblicherweise reges Treiben
herrscht, Gläser klirren und Lachen die Räume mit Leben erfüllt, wirken wie ausgestorben. Die Fotografien zeigen hochgestellte Stühle, Staub, der sich auf den Fußboden legt, aufgetürmte
Kontaktformulare des vergangenen Sommers, ein verstummter Flügel und einen Gastronomen, stellvertretend für viele andere, den der Lockdown an die Belastungsgrenze bringt. David Richard, der schon
seit vielen Jahren Kunstprojekte der Uni Koblenz-Landau unterstützt, hatte die Idee, die morbide Stimmung fotografisch zu dokumentieren und auf die schwierige Lage der Koblenzer Gastronomieszene
aufmerksam zu machen. „Die letzte Fotoausstellung der Studierenden konnte aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden, so haben wir nach Alternativen gesucht und die Idee war geboren.“ Der
Koblenzer Gastronom berichtet weiter: „Ich habe im Nachhinein erfahren, dass es in Kölner Clubs ein ähnliches Projekt gegeben hat. Die meisten dieser Läden haben ihre Türen mittlerweile für immer
geschlossen. Das zeigt die Dramatik der Situation.“
Das Koblenzer Projekt zeichnet sich unterdessen vor allem durch die engagierte Zusammenarbeit von Lehrenden, Studierenden und Akteur*innen der Gastronomieszene aus. „Es ist eine beklemmende
Stimmung“, berichtet eine Studentin. Die Inhaber*innen sind besorgt und angespannt, sie reparieren und renovieren Gasträume und wissen nicht, wann sie die nächsten Gäste werden begrüßen können. Das
Projekt scheint vielen aber auch das Gefühl zu geben, gehört und vor allem gesehen zu werden. „Einfach etwas anzugehen, etwas zu tun, wo man in dieser Situation doch wie gelähmt ist. Das hilft mir
für meinen Kopf, nicht durchzudrehen“, gibt David Richard mit einem tiefen Seufzer zu verstehen. Auch die technische Umsetzung des Projektes zeichnet das Koblenzer Vorhaben aus. Die kontrastreichen
Schwarz-Weiß-Aufnahmen verstärken das Gefühl der Distanz, mit der wir uns auf unbestimmte Zeit zurechtzufinden gezwungen sind.
Die analoge Fotografie steht sinnbildlich unserem digitalen Alltag gegenüber, der uns mehr denn je sozial voneinander distanziert. Die ersten praktischen Arbeiten von Martin Lilkendey in
Zusammenarbeit mit der Kulturwissenschaftsstudentin Jasmin Rosenbach sind eindrücklich und zeugen davon, das Studieren in Koblenz mehr bedeutet, als Bücher zu wälzen. Bleibt zu hoffen, dass wir die
vollständige Ausstellung im Frühjahr 2021 ganz analog und gemeinsam in der Koblenzer Altstadt werden bewundern können.